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[Max Frisch] [Stiller] |
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Stiller Ich bin nicht Stiller! So lautet der erste Satz des Romans. Er ist zugleich wahr und falsch.Nimmt man alle Fakten zusammen, die im Roman ausgearbeitet werden, so ergibt sich: Der Ich-Erzähler ist der vermißte Anatol Ludwig Stiller. Aber deutlich wird auch: er ist nicht, oder will der nicht sein, für den ihn die Umwelt hält. Deswegen hat er sich ein zweites Leben wie einen Schutzmantel umgelegt, hat sich in eine andere Identität geflüchtet, in eine Hülle, die er mit Fleiß und Phantasie auskleidet. Er betreibt damit übrigens das Geschäft des Schriftstellers: Er erfindet sich eine Geschichte, um seine eigene besser verbergen zu können. Als Mr. White ist er nach längerer Abwesenheit in die Schweiz zurückgekehrt. Nun sitzt er im Gefängnis, weil er nicht anerkennen will, daß sein Paß falsch und er der gesuchte Stiller ist. Doch Ordnung muß sein. Zunächst wird der Leser im Unklaren darüber gelassen, ob es sich nicht nur um eine Verwechslung handelt. Immer mehr Indizien allerdings sprechen gegen die Behauptungen des Mr. White, der allenfalls noch den Gefängniswärter mit seinen Abenteuergeschichten (beste Kolportagen) überzeugen kann. Alle erkennen ihn wieder: auch Julika, die von Stiller verlassene Ehefrau. Schon bald wandelt er den ersten Satz seiner Tagebuchnotizen ab: Ich bin nicht ihr Stiller, heißt es nun. Eine feine Nuance. Weiterhin beteuert er tapfer die Existenz des Mr. White. Aber er notiert (was durchaus doppeldeutig auszulegen): Soll ich mich ergeben? Mit Lügen ist es ohne weiteres zu machen, ein einziges Wort, ein sogenanntes Geständnis, und ich bin „frei“, das heißt in meinem Fall: dazu verdammt, eine Rolle zu spielen, die mit mir nichts zu tun hat. Das kann sowohl White wie Stiller sagen: im einen Fall sind die Lügen wörtlich zu verstehen, im anderen Sinn als Kompromisse mit dem Bild, das die anderen sich von Stiller gemacht haben – ein Lieblingsgedanke von Frisch. Schon im ersten Tagebuch war von Ähnlichem die Rede; im Roman wird über die Versuchung, sich gegenseitig mit Bildnissen einzuschnüren, von verschiedenen Figuren gesprochen.
Quelle: rororo bildmonographien, rm 321
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